Liebe Leserinnen, liebe Leser,
heute rief ein älterer Herr in der Redaktion an, der sehr sauer war. Er durfte am Dienstagabend nicht dabei sein, als RB Leipzig in der Red-Bull-Arena mit einem 2:0 gegen den türkischen Meister Basaksehir einen Traumstart in der Champions League hinlegte. Was war geschehen? Das Leipziger Gesundheitsamt hatte am Montagvormittag die Erlaubnis für 8500 Zuschauer wieder kassiert mit dem Verweis darauf, dass am Dienstagabend der Inzidenzwert von 20 überschritten werden könnte. Das ist dann nicht eingetreten, aber für die 8500 Fans, die Karten via Losverfahren ergattert hatten, kam diese Nachricht natürlich zu spät. Letztendlich blieben 999 Glückliche im Sieb hängen, die dann gestern Abend in dem doch recht großen Stadion (42.000 Plätze) einen recht verlorenen Eindruck machten. Unser Leser Herr Meier war nicht unter den Glücklichen und machte darüber seinem Ärger am Telefon Luft. So ein riesiges Stadion, so viel frische Luft und dann ein Inzidenzwert, der unterhalb des erwarteten Grenzwertes liegt. Da hätte man ja die Fans doch alle reinlassen können.
Abgesehen von der Frage, ob und wie das auf die Schnelle organisiert werden könnte, wirft auch dieses Beispiel erneut die Frage nach unserem generellen Umgang mit Corona auf. Meine Tochter Katharina (26), die unter dem Künstlernamen Harina Popmusik macht (immerhin 142.000 monatliche Hörer*innen auf Spotify!), war jetzt für eine Woche zu Tonaufnahmen in Schweden. Als sie in Stockholm landete, kam sie zunächst aus dem Staunen nicht mehr raus: Kein Mensch trug eine Maske - nicht auf dem Flughafen, nicht auf den Straßen, nicht in den Kneipen. Sie kam sich mit ihrer Maske völlig blöd vor und brauchte einige Zeit, um zurück ins “normale” Leben zu finden. Die Schweden sind für ihren Umgang mit Corona von deutschen Virologen und Politikern heftig kritisiert worden. Indes: die Gesamtsituation ist bei ihnen auch nicht viel schlechter als bei uns.
Es liegt mir fern, darüber urteilen zu wollen, welcher Weg (Stichwort Herdenimmunität) der bessere ist. Es ist nur zu spüren, dass die Einschränkungen den Menschen immer mehr auf die Nerven gehen. Natürlich kann man sagen: Fußball ist nicht lebenswichtig und muss nicht sein. Aber unser Leser Herr Meier meint halt, im Kabarett wird nicht gelüftet, man sitzt viel enger, und es ist trotzdem erlaubt. Nun wollen wir nicht Fußball gegen Kabarett ausspielen. Beides ist nicht lebensnotwendig, aber zu unserem Leben gehört es schon irgendwie dazu. Und man möchte es nicht missen. Wenn Sie diesen Newsletter heute Abend lesen, sitze ich in Leipzig im Kupfersaal und sehe im Rahmen der Lachmesse Désirée Nick als “letzte lebende Diseuse”. Mal sehen, wie sie es mit dem Abstand hält :-).
Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend daheim vor dem sicheren Fernseher oder wo immer Sie uns lesen. Bleiben Sie gesund und seien Sie herzlich gegrüßt
Ihr Jan Emendörfer,
Chefredakteur